Auf der Paris Airshow präsentierte Airbus Helicopters im Juni 2017 das Modell des neuen Hochgeschwindigkeitshubschraubers »Racer« (Abbildung 1). Der im Rahmen des europäischen Luftfahrtforschungsprogramms Clean Sky 2 entstehende Demonstrator soll 2020 seinen Erstflug antreten. »Racer«, kurz für »Rapid And Cost-Effective Rotorcraft«, wird verschiedene Innovationen enthalten, wie beispielsweise eine hohe Reichweite und eine hohe Reisegeschwindigkeit von über 400 Kilometern pro Stunde bei niedrigem Treibstoffverbrauch. Dieser neue Hubschraubertyp soll insbesondere für Such- und Rettungseinsätze, notärztliche Versorgung sowie öffentliche und private Versorgungs- und Transportflüge eingesetzt werden.
Fraunhofer EMI liefert Nachweise für Flugzulassung
Damit der Demonstrator 2020 eine Flugerlaubnis erhalten kann, muss er die Anforderungen aus der EASA-Norm CS 29 erfüllen. Diese verlangt unter anderem den Nachweis, dass ein sicherer Weiterflug beziehungsweise eine sichere Landung nach einem Zusammenstoß mit einem ein Kilogramm schweren Vogel möglich ist. Die Notwendigkeit eines solchen Nachweises zeigt ein Blick in die Statistik: Mehrere 10 000 Kollisionen zwischen Flugzeugen und Vögeln treten weltweit jedes Jahr auf. Sie verursachen hohen wirtschaftlichen Schaden und können im Einzelfall – wie etwa 2009 in New York, als ein A320 auf dem Hudson River notlanden musste – zu einem Sicherheitsrisiko werden.
Insbesondere Hubschrauber sind aufgrund ihrer niedrigeren Flughöhe häufig von Vogelschlag betroffen. Die Simulationen, die zur Erbringung des Nachweises notwendig sind, hat das Fraunhofer EMI durchgeführt. Hierfür stellte Airbus Helicopters die relevanten Daten zur Verfügung, aus denen ein Finite-Elemente-Modell (FE-Modell) von Racer erstellt wurde. Mithilfe dieses Modells konnten anschließend Einschläge von Vögeln an unterschiedlichen Stellen des Hubschraubers simuliert und deren Auswirkungen bewertet werden.
Erstellung des numerischen Modells
Für eine realistische Simulation dieser Belastungen durch Vogelschlag war es zunächst erforderlich, ein validiertes Modell eines Vogels zu erstellen. Hierbei mussten Vereinfachungen getroffen werden, da die exakte numerische Abbildung des Tiers mit erheblichem Aufwand verbunden gewesen wäre. Des Weiteren spielen Details des Vogelkörpers für die durch einen Aufprall hervorgerufenen Schäden nur eine untergeordnete Rolle. Meist modelliert man Vögel daher als einfache geometrische Formen, wie beispielsweise Kugeln oder Ellipsoide. Für die Simulationen am EMI wurde die ebenfalls häufig verwendete Form eines Zylinders mit halbkugelförmigen Enden gewählt. Für die Diskretisierung des Vogelmodells kam die SPH-Methode (Smoothed Particle Hydrodynamics) zum Einsatz. Diese weist bei den auftretenden hohen Verformungen deutliche Vorteile gegenüber klassischen FE-Methoden bezüglich Stabilität und Rechenzeit auf. Hinsichtlich der Materialeigenschaften lassen sich Vögel bei derart hohen Geschwindigkeiten, wie sie bei einem Vogelschlag in der Luftfahrt auftreten, vereinfacht als ein wasserähnliches Fluid modellieren, da die Festigkeiten der einzelnen Materialien weit überschritten werden.
Für die Validierung des erstellten Vogelmodells wurden zunächst frei zugängliche Daten des Air Force Materials Laboratory aus den 1970er Jahren genutzt. Bei den damaligen Versuchen schoss man sowohl echte Hühner als auch Ersatzkörper aus Gelatine gegen eine Stahlplatte und maß die auftretenden Drücke. Weiterhin konnten aktuellere Messwerte, die Airbus Helicopters zur Verfügung stellte, verwendet werden. Hier wurden Gelatinevögel gegen Polycarbonatplatten geschossen. Beide Versuchstypen wurden mit dem Vogelmodell nachsimuliert (Abbildung 2 oben: Stahlplatte, unten: Polycarbonatplatte).
Die dabei berechneten Drücke, Kräfte und Schädigungen weisen eine hohe Übereinstimmung mit den Versuchsdaten auf.
Der nächste Schritt beinhaltete den Aufbau eines FE-Modells des Hubschraubers. Hierfür wurden die Geometriedaten bereinigt, vereinfacht und anschließend vernetzt. Es folgte die Modellierung der beteiligten Materialien sowie die Definition des Lagenaufbaus der Verbundmaterialien, der Kontakte und der Randbedingungen. Das fertige FE-Modell von Racer besteht aus mehr als einer halben Million Schalen- und Hexaederelementen mit Kantenlängen von circa 10 Millimetern bis 15 Millimetern. Trotz dieser hohen Anzahl an Elementen benötigt die Simulation eines Vogelschlags lediglich eine Rechenzeit von etwa ein bis zwei Stunden auf 16 CPUs (Central Processing Unit).
Bewertung der Vogelschlagsicherheit
Mithilfe der erstellten Modelle konnten virtuelle Vogelschlaguntersuchungen für den Hochgeschwindigkeitshubschrauber Racer durchgeführt werden. Abbildung 3 zeigt beispielsweise die Verformung der Polycarbonatwindschutzscheibe bei Aufprall und anschließendem Abgleiten eines Vogels mit einer Relativgeschwindigkeit von rund 410 Kilometern pro Stunde. Trotz starker Deformationen bleibt die Scheibe intakt. Der große Vorteil der Simulationen ist, dass sich eine Anpassung der Werkstoffe und der Wandstärke von Bauteilen oder die Änderung des Auftreffpunkts und der Geschwindigkeit des Vogels sehr einfach am Computer realisieren lassen. So konnte eine Vielzahl unterschiedlicher Szenarien hinsichtlich der Vogelschlagsicherheit analysiert werden. Bewertungskriterien waren dabei beispielsweise eine eventuelle Perforation oder ein Bruch von Komponenten, die Anzahl geschädigter Lagen von Verbundwerkstoffen, das eventuelle Versagen von Klebschichten oder die Restgeschwindigkeit und Ablenkung des Vogels in Richtung kritischer Strukturen. Mittels dieser Untersuchungen, die wesentlich für die Vorauslegung des neuen Hubschraubers sind, konnte das Fraunhofer EMI frühzeitig gefährdete Komponenten identifizieren und Vorschläge zur Verbesserung abgeben. Die durchgeführten Arbeiten am EMI lieferten somit einen wertvollen Beitrag im Entwicklungsprozess des Racers und dienen Airbus Helicopters als Nachweis für die Erfüllung der Anforderungen für die Flugzulassung.
Weitere Informationen unter www.airbus.com