Biointelligente Materialien und Biologische Transformation

Von der Bionik zur Biologischen Transformation

Bionische Systeme, die den Ansatz des „Lernens von der Natur“ verfolgen, sind -insbesondere im konstruktiven Bereich-  schon seit vielen Jahren bekannt. Aktuell wird die Verschmelzung von Biologie und Material jedoch völlig neu gedacht: Die Natur dient nicht mehr nur als Vorbild, sondern biologische Prozesse und Organismen werden direkt genutzt und unmittelbar mit der Technik verschmolzen. 

Neue Funktionen 

Moderne Methoden der Molekularbiologie, der Biotechnologie, der Polymerchemie und der Materialwissenschaften ermöglichen in inter- und transdisziplinären Forschungsansätzen innovative funktionelle Materialien mit herausragenden Eigenschaften und Funktionen. Hierfür werden Biomoleküle wie Proteine, Peptide oder Kohlenhydrate direkt in Materialien eingebaut und übertragen so ihre natürliche Funktion in das Material.

Filtration durch Proteinporen, Biokatalyse an dünnen Schichten, zuckervermittelte Diagnostik und bakterientötende Materialien stehen im Fokus der Forschung oder sind schon in allerersten Produkten umgesetzt, wobei aber die Performance noch verbessert werden muss  Ausgehend von diesen Entwicklungen auf molekularer Ebene, wird der nächste Schritt vollzogen.
So werden beispielsweise Strategien dafür entwickelt, wie labile, temperatursensitive Biomoleküle und moderne Materialverarbeitung, die meist bei hohen Temperaturen durchgeführt wird, als scheinbar unvereinbare Gegensätze zusammengebracht werden können, um biofunktionelle Materialien im industriellen Maßstab produzieren zu können. Für medizinische Anwendungen sind Notwendigkeit und Nutzen der Kongruenz zwischen Material und Biologie in der kontinuierlichen Umsetzung: Neue Implantatmaterialien erlauben eine gezielte Steuerung der Interaktion mit Geweben, ermöglicht durch genaue Kenntnis und Modifikation der Materialeigenschaften im Wechselspiel mit Zellen in komplexen biologischen Systemen.

Beispiel Medizinprodukte

Überall dort, wo Materialien in Kontakt mit biologischen Systemen sind, spielen die Eigenschaften der Materialien und ihre Wechselwirkung mit der physiologischen Umgebung eine entscheidende Rolle. Bei Medizinprodukten liegt für uns die Wechselwirkung an der Grenzfläche zwischen dem technischen und dem biologischen System im Fokus. Je nach Zielstellung verändern wir die Oberfläche des eingesetzten Materials so, dass die Funktion der biologischen Komponente nicht nur nicht beeinträchtigt (biokompatibel), sondern in vielen Fällen sogar unterstützt wird (bioaktiv). Je nachdem, ob die Grenzflächen aneinanderhaften sollen (Implantate) oder gegeneinander bewegt werden (Gelenke), sind über die chemischen Eigenschaften hinaus auch adäquate mechanische Eigenschaften gefordert, die den Verbund stabilisieren. Um beispielsweise die gewünschten mechanischen Eigenschaften zu realisieren, können die entsprechenden Komponenten von medizintechnischen Produkten additiv gefertigt, das heißt schichtweise durch Drucken des Materials mit biologischen Komponenten (Bioprinting) aufgebaut werden.

Neue Materialien aus der Matrix von Geweben, bioinspirierte Strukturen und biofunktionale oder biologisierte Oberflächen werden so in Zukunft dafür sorgen, dass medizintechnische Hilfsmittel, Prothesen und Implantate besser verträglich sind. Mit Materialien, welche die biochemischen und mechanischen Eigenschaften von natürlichen Geweben nachbilden, können Irritationen im Organismus minimiert und die Haltbarkeit medizintechnischer Produkte verlängert werden: In Zukunft werden Materialien zur Verfügung stehen, die vollständig vom Körper integriert werden können und dadurch patientengerecht und gleichzeitig kostengünstig sind.

Beispiel Circular Economy

Eine besondere Bedeutung kommt der Übertragung biologischer Prinzipien auf die Materialwissenschaft und Werkstofftechnik im Kontext der Kreislaufwirtschaft zu. Die technische Realisierung geschlossener Materialkreisläufe ist Zielgröße für eine biobasierte, biointelligente und nachhaltige Wertschöpfung. Der Kreislauf ist ein über Jahrmillionen bewährtes Organisationsprinzip der Natur. Er wird als Vorbild für eine ganzheitliche Materialentwicklung und Materialeinsatz in Produkten sowie für deren spätere Verwertung verstanden und muss von Forschung, Industrie und Politik mit großer Ernsthaftigkeit verfolgt werden. Wichtige Ansätze sind die Substitution von fossilen Rohstoffen durch nachwachsende Materialien und die Rückführung von Reststoffen in neue Wertschöpfungssysteme (5R-Philosophie: Reduce, Repair, Re-Use, Refurbish, Recycle).

Perspektive

Diese und weitere Forschungsthemen stehen im Fokus der angewandten Materialforschung einer Vielzahl von Fraunhofer-Instituten des Materialverbundes. Die biobasierte Wirtschaft ist ein zentraler Aspekt der aktuellen High-tech Strategie 2025 der Bundesregierung.

Für die Erreichung der Forschungsziele bei der Entwicklung und Verarbeitung biointelligenter Materialien werden in erhöhtem Maße Methoden der integrierten, computergestützten Materialentwicklung (ICME) benötigt.